Nicht ordnungsgemäss bestellter Verwaltungsrat ist ein Organisationsmangel

Das Bundesgericht hatte unlängst die bisher in der Lehre umstrittene und letztinstanzlich bisher offen gelassene Frage zu klären, ob ein Verwaltungsratsmandat nach Ablauf ihrer statutarischen Amtszeit ohne Wiederwahl vorläufig weiter im Amt bleiben.

Im vorliegenden Fall (4A_496/2021, Urteil vom 3. Dezember 2021) verlangte eine Aktionärin aufgrund eines Organisationsmangels gemäss Art. 731b OR gerichtlich die Einsetzung eines Sachwalters bei Aktiengesellschaft X. mit dem Auftrag, bei Aktiengesellschaft X eine Generalversammlung ordentlich einzuberufen und durchzuführen und namentlich die Wahl des Verwaltungsrates zu traktandieren. Das Bundesgericht wies die gegen den bejahenden Entscheid der Vorinstanz erhobene Beschwerde ab mit der nachfolgenden Begründung.

Bei der Wahl des Verwaltungsrats handle es sich um ein unentziehbares Recht der Generalversammlung (Art. 698 Abs. 2 Ziff. 2 OR), das nicht dadurch unterlaufen werden dürfe, in dem der amtierende Verwaltungsrat sein Mandat durch Nichteinberufung der Generalversammlung ohne explizite Willenskundgebung durch die Generalversammlung verlängern könne. Dies sei aus Sicht des Bundesgerichts umso stossender, wenn die Wahl nicht bloss vergessen, sondern mit dem Ziel, das Amt zu behalten, verhindert werde. Denn in solchen Fällen (wie der zu beurteilende Fall) könnten sonst Aktionäre ihr Wahlrecht bzw. eine Fortsetzung des Verwaltungsratsmandats nicht mittels expliziter Willensäusserung ausüben.

Bei dieser Lesart sei auch der gute Glaube Dritter in den Handelsregistereintrag nicht gefährdet. Dritte dürfen auf diesen vertrauen, soweit ihnen nicht positiv bekannt ist, dass die Amtszeit der eingetragenen Verwaltungsräte geendet hat (Art. 936b OR). Auch die Argumentation, wonach bei dieser Interpretation eine Vielzahl von Aktiengesellschaften handlungsunfähig würden, liess das Bundesgericht mit dem Hinweis, diese Folge liesse sich durch Beachtung der gesetzlichen Vorschriften vermeiden, nicht gelten.
Zusammenfassend ist festzuhalten: das Amt des Verwaltungsrates endet mit Ablauf des sechsten Monats nach Schluss des betreffenden Geschäftsjahres, wenn keine Generalversammlung nach Art. 699 Abs. 2 OR durchgeführt oder die Wahl des Verwaltungsrates nicht traktandiert wurde. Den dadurch eventuell entstehenden Organisationsmangel der Aktiengesellschaft nimmt das Bundesgericht als Folgekonsequenz in Kauf.

Dr. Jürg Galliker / Alexander Pfeiffer

 

zurück zur Übersicht